26.-31. Juli 2017
Seit 2008 sind Individualreisen auf das Dach der Welt leider nicht mehr möglich. Als Reaktion auf die tibetischen Aufstände zu den olympischen Spielen gibt es Militärpatroullien, Checkpoints und Permits für jeden. So bleibt uns leider auch nichts anderes übrig, als über «Tibet Highlandtours» (wir würden dir, trotz diversen positiven Reviews, dringend von dieser Agentur abraten), eine organisierte 6-tägige Tibet Tour mit Fremdenführer und Fahrer zu buchen. Schnell merken wir, auch hier geht’s nur ums Geld und drei Tage Lhasa hätte uns völlig ausgereicht.
Bei der Ankunft am Flughafen in Lhasa werden wir bereits von unserem Guide erwartet, welcher uns sogleich zur Begrüssung den obligatorischen weissen Schal um den Hals legt.
Er spricht ein gutes Englisch, aber zum Glück merken wir, dass er Babysitten genau so wenig mag wie wir. Denn kaum am Mittag im Hotel Gang-Gyen eingecheckt, lässt er uns in Lhasa alleine (hier darf man sich als Tourist frei und ohne Guide bewegen). Ebenfalls zeigt er uns in den nächsten Tagen für zwei bis drei Stunden die obligatorischen Sehenswürdigkeiten wie Ramoche und Jokhang Tempel, Sera Kloster und Potala Palast und macht sich dann relativ schnell wieder von dannen. Wir realisieren schnell, dass unser Guide «Tensing» uns leider jeden Tag irgendwelche Unwahrheiten auftischt, denn jeden Morgen starten wir mit seiner Aussage «we have a change of plan for today». Wir haben definitiv kein Problem, wenn etwas einmal nicht so funktioniert wie es sein sollte. Aber wenn wir tagtäglich belogen und uns die kreativsten Ausreden um die Ohren gehauen werden, dann hat auch unser Verständnis irgendwann Grenzen.
Gang-Gyen Hotel: «Busgruppen Hotel»
Wir sind richtig enttäuscht von diesem angeblich 4-Sterne Hotel, leider in der gebuchten Tour enthalten. Das einzig gute an diesem Hotel ist die Lage. Ansonsten ist das gesamte Hotel so schrecklich lieblos und man fühlt sich hier so gar nicht Willkommen. Die 5 Damen an der Rezeption sitzen gelangweilt und ohne Emotionen herum und jegliches Lächeln ist aus ihren Gesichtern entglitten. Die Zimmer sind sehr schmuddelig und einen Putzlappen oder Staubsauger haben diese schon länger nicht mehr gesehen. Das ganze zieht sich bis zum Frühstück durch; Abfertigungshalle, schmuddelige Tischdecken, verbrannter Toast und eine halbe Stunde nach Frühstücksbeginn gibt es auch schon kein Nachschub mehr.
Geheimtipp Lhasa: «Deleg Coffee»
Als wir uns nachmittags alleine in Lhasa auf die Socken machen um uns an die Höhe zu gewöhnen, stolpern wir an einem Café vorbei mit einer grossen Tafel «Guten Tag es ist cafe Zeit. Ich spreche deutsch». Wir haben sowieso Lust auf einen Kaffee und nehmen in der gemütlichen Ecke Platz. Der freundliche Tibeter an der Kaffeebar bringt uns sogleich die Karte und verschwindet schnell wieder um den Besitzer zu holen. Plötzlich hören wir hinter uns ein lautes «herzlich willkommä, ihr sind Schwiizer gället?» in astreinem St. Galler Dialekt. Deleg Sonam, der Besitzer des Kaffees hat zehn Jahre in der Schweiz gelebt, unter anderem in einem Café an der Bahnhofstrasse in Zürich gearbeitet und kehrte wegen familiären Angelegenheiten in sein Heimatland zurück. Die Freude ist ihm sichtlich ins Gesicht geschrieben, sich nach langer Zeit endlich wieder einmal in schweizerdeutsch unterhalten zu können. Wir geniessen den leckeren Kaffee, dazu einen selbstgemachten Yak-Joghurt Cake «vo sim Mami» und unterhalten uns lange.
Deleg Coffee
Jokhang Tempel
Wir laufen zum Jokhang Temple, der heiligste Tempel von Tibet (in den nächsten Tagen erfahren wir, dass irgendwie jeder Tempel und jeder See, der Heiligste von Tibet ist). Hier ist das Fotografieren nicht erlaubt. Es herrscht eine mystische Stimmung, die man so gar nicht wirklich beschreiben kann. Die Mönche stimmen gerade ihre Gemeinschaftsgebete ein und man hört Gemurmel von den vielen Gläubigen. Der ganze Tempel ist in altem dunklen Holz gekleidet, überall stehen Butter-Lampen, Statuen, unendliche viele grosse und kleine Räume auf zwei Stockwerke verteilt und massenweise Gedränge überall. Doch etwas trübt die mystische Stimmung, an jeder Ecke sitzen Mönche und spielen entweder gelangweilt mit ihren Handys oder sammeln das gespendete Geld, zählen es durch und binden es in grossen Bündeln zusammen. Etwas nachdenklich und irritiert verlassen wir den Tempel.
Ramoche Tempel
Die zweite Station ist der Ramoche Tempel, nebst dem Jokhang Tempel wieder eine der ältesten religiösen Stätten in Tibet. Dieser Tempel ist viel kleiner und wir werden in einem noch grösseren Gedränge durch den Tempel geschoben. Viel kriegen wir in dem kurzen etwas anstrengendem Rundgang leider nicht mit, aber wir lassen die Stimmung einfach mal auf uns wirken.
Sera Kloster
Am Morgen besuchen wir das Sera Kloster. Wir haben wohl schon zu viele Klöster und Tempel gesehen, denn grosse Unterschiede können wir im Innern nicht mehr feststellen. Auch das Debattieren der Mönche (täglich um 15.00 Uhr) sehen wir leider nicht. Auch hier gab es wieder einen «change of plan». Vorgesehen war am Morgen den Potala Palast zu besuchen, so dass wir am Nachmittag rechtzeitig das Debattieren der Mönche im Sera Kloster miterlebt hätten.
Potala Palast
Um 16.00 Uhr steht also die Besichtigung des Potala Palastes auf dem Programm. Das geistige und weltliche Zentrum Tibets und der Winterresidenz des Dalai Lamas. Die Anzahl der Besucher ist limitiert und die Besuchszeit im Innern ist auf eine Stunde festgelegt. Um den Potala Palast bewegen sich schon sehr viele Pilger auf der Umrundung.
Dann steigen wir langsam die Stufen zum Palasteingang hoch. 13 Etagen und unendlich viele Treppen, die man wegen der Höhe langsam besteigen sollte. Wir sind ziemlich erschlagen von den vielen persönlichen Räumen der Dalai Lamas, den Tempeln und Kapellen, den Meditationsräumen und den Grabräumen der verstorbenen Dalai Lamas. Von den angeblich 1'000 Räumen kann nur ein Bruchteil besucht werden, aber das reicht uns auch schon. Denn man verliert schnell die Orientierung, es geht Treppauf, um Ecken herum, Treppen runter, durch Korridore und Terrassen.
Nach drei Tagen Hauptstadt fahren wir zum Yamdrok See, Karo La Gletscher, Gyantse und zur zweitgrössten Stadt Shigatse. Die (Tor-) Tour zu Viert in einem Kleinbus dauert geschlagene acht Stunden. Teilweise wird es schwierig, Pausen auf der langen Strecke einzulegen, denn viele Abschnitte sind wegen Bauarbeiten gesperrt und so wartet man teilweise bis zu einer Stunde im Auto, bevor ein Weiterkommen möglich ist. Wenn möglich, halten wir aber bei den vorgeplanten Touristen Hotspots an. Zum Fotografieren kommen wir jeweils kaum, entweder werden wir von Frauen und Kindern belagert und belästigt, die uns irgendwas zum Verkauf hinstrecken bzw. fast schon in die Hände drücken (genau so wie die Rosenverkäufer in Venedig oder Rom) oder man wird überall angehalten um Fotos (gegen Entgelt) mit den extra für Touristen hintrappierten Yaks oder tibetanischen Mastiffs zu machen.
Während wir im Touristen Restaurant unseren überteuerten Lunch einnehmen, essen Fremdenführer und Fahrer unten oder woanders, nur nicht bei uns Touristen. Noch mehr als sonst fühlen wir uns einfach nur wie dekadente Imperialisten. Für Tibeter sind wir dies zweifellos…
Gut zu wissen: Bei den wenigen Stopps, haben wir jeweils eine Toilette aufgesucht. Damit du bei einem möglichen Tibetbesuch nicht gleich aus allen Wolken fällst; die Toiletten, vor allem in den ländlichen Gegenden, sind schlimm! Ich möchte dir hier eine ausführliche Beschreibung bis ins Detail mit Foto ersparen, nur so viel sei gesagt: der beissende Gestank ist unerträglich (Tipp: Vicks oder Tigerbalsam unter die Nase schmieren), Brille auf dem Kopf abziehen, Umhängetasche deinem wartenden Partner geben, Papiertücher unbedingt mitnehmen und eine Flasche Sanitizer immer dabei haben. Über zwei Brettern kauernd, kostet es als Frau eine extreme Überwindung und ist ein schwieriger Balanceakt um nicht mit dem Kot an Wänden und Boden in Berührung zu kommen. Als wäre es nicht schon genug, wird für solche Toiletten noch Geld von den Touristen verlangt.
Als wir gegen 20.30 Uhr völlig übermüdet in unserem Hotel «Gesar» in Shigatse ankommen, trifft uns fast der Schlag. Das angebliche 4-Sterne Hotel ist noch schlimmer als das «Gang-Gyen» Hotel in Lhasa. Wir versuchen das Beste daraus zu machen und sagen uns, schlimmer kann es definitiv nicht mehr werden. Doch eigentlich hätten wir es besser wissen müssen….
Völlig unerholt von der gestrigen Tour und der schlaflosen Nacht, warten wir in der Lobby auf unseren Guide, der eigentlich schon seit Tagen die Zugtickets für die Rückfahrt nach Lhasa hätte organisieren sollen. Verspätet wie immer kommt er angehetzt «we have a change of plan». Die zweieinhalbstündige Zugfahrt dürfen wir stehend verbringen, da er heute leider keine Sitzplätze mehr organisieren konnte. Unsere sonst schon strapazierten Nerven sind nun so überstrapaziert, dass es schon fast unerträglich ist. Wir wollen nur noch zurück nach Lhasa und so bleibt uns leider nichts anderes übrig, als die ganze Zugfahrt im völlig überfüllten Zug stehend zu verbringen.
Unser persönliches und ehrliches Fazit:
Durch unsere persönlichen Erlebnisse und Eindrücke, die wir in Tibet gemacht haben, gehört für uns Tibet zu dem Land, welches wir eher kein zweites Mal bereisen würden. Zum Glück sind wir nicht mit allzu hohen Erwartungen nach Tibet gereist, sonst hätte uns die Ernüchterung wie ein Schnellzug erfasst. Vermutlich liegt es aber auch an dem übermässigen Medienrummel um diese Reise und dass sich allmählich fast jeder einen solchen Trip leisten kann. Denn tagtäglich werden in Scharen junge Rucksackreisende, schnorrende Backpacker oder betagte Touristen angelockt, die sich ihren Traum von Tibet erfüllen wollen.